»Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben will und nicht zurückgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht bewahren.«

Dieses Wort legt Friedrich Nietzsche seinem streitbaren und umstrittenen Zarathustra in den Mund und lässt ihn damit einen Menschen zeichnen, den man im Unternehmenskontext wohl wenig vermutet. Denn in der Wirtschaft wird die Verschwendung durchgehend negativ konnotiert: Sie frisst Geld, das nicht mehr produktiv eingesetzt werden kann, und schmälert damit den Profit. Wer sein Unternehmen nach Zarathustras Devise führt, dürfte früher oder später pleite sein. Jedes in die Hand genommene und aus der Hand gegebene Geld muss als Investment seinen zukünftigen Profit bereits im Jetzt in sich tragen – sonst steckt man es lieber wieder ein.

Folgt man jedoch Georges Bataille, so lohnt sich ein tieferer Blick auf das Thema Verschwendung in Unternehmen dennoch. 1933 stellt der äußerst kontrovers diskutierte Philosoph mit seinem Werk Die Aufhebung der Ökonomie die These auf, dass jede Sicht auf das Wirtschaften des Menschen, die nur auf Produktion und Produktivität fokussiert, unvollständig ist; auch das Konsumieren müsse in all seinen Formen betrachtet werden. Der Skandal: Bataille zufolge macht erst die Verschwendung – tatsächlich das sinnlose Vernichten von Kapital – den Menschen in seinem echten Sein aus.

Damit wertet Bataille die in unserer Zeit so verfemte Vergeudung radikal zum Positiven um: Pyramiden, Schlösser, Kathedralen, aber auch schöner Schmuck, tiefgeistige Literatur oder feinsinnige Musik – all das, was wir mit »Kultur« assoziieren und was die Zeiten überlebt, ist in Batailles Augen Kapital, das der Produktion entzogen und im positiven Sinne ins »wahre« Menschsein verschwendet wird. Der Mensch unserer Zeit krankt in Batailles Augen daran, dass er sich die Verschwendung selbst verbietet und damit – allein auf sein Produktivsein fokussiert – seines Menschseins beraubt.

In den Unternehmen von heute wird unter dem Stichwort lean production die Verschwendung als Hauptfeind mit sieben Gesichtern (transport, inventory, motion, waiting, over-production, over-engineering, defects) bedingungslos ausgemerzt. Jede mögliche Lücke wird geschlossen und die Taktung immer effizienter gemacht. Hinzu kommt eine stetige Beschleunigung der Arbeitswelt. Zeitgleich erleben wir in unseren Beratungsprojekten, dass Führungskräfte immer mehr darüber klagen, nicht mehr »Zeit für das Wesentliche« zu haben. Mitarbeiter fühlen sich von Vorgesetzten und Kollegen immer weniger wertgeschätzt. Dringt man in Gesprächen tiefer ein, was denn Wertschätzung ausmache, so wird man oft auf das gleiche Thema geleitet: Vergeudung. Denn Wertschätzung wird erfahren, wenn »sich der Chef nicht nur für die Arbeitsthemen« interessiert, wenn »man mal fünf Minuten Zeit hat, über etwas anderes zu reden«, wenn »man mal was gemeinsam unternimmt« … – kurz: wenn man nicht produktiv ist und Zeit aneinander verschwendet.

Natürlich (und dessen war sich auch Georges Bataille bewusst): Kein Unternehmen kann es sich leisten, nur zu verschwenden. Trotzdem glaube ich, dass Unternehmen gut daran tun, neben allen Investments auch ein In-Waste-Ment zu riskieren: Die bewusste Verschwendung von Zeit und Ressourcen ohne klaren Blick auf die Rendite. Als In-Waste-Ment könnte die Verschwendung im positiven Sinne legitimiert zentrale Bedeutung für Mitarbeitermotivation und -loyalität, für Kreativität und Innovation, für Kooperation und Führung erhalten.

Interessanterweise stößt 130 Jahre nach Nietzsche und 80 Jahre nach Bataille der derzeitige Shooting Star der amerikanischen Organisationspsychologie mit seinem gerade erschienenen Buch Give and Take erneut ins gleiche Horn und belegt, dass ein In-Waste-Ment erfolgreich sein kann: Nach jahrelangen Studien in vielzähligen Unternehmen kommt Adam Grant zu dem Schluss, dass eine Geber-Haltung am meisten Gewinn verspricht. Gegen alle Erwartungen sind die Erfolgreichsten nicht die egoistischen takers à la Gordon Gekko, die mit Alphatiergehabe auf ihren eigenen Profit aus sind. Es sind auch nicht die fairen matchers, die auf Reziprozität bedacht Geben und Nehmen genau balancieren. Es sind Grant zufolge die givers: Führungskräfte und Unternehmensleiter, die in der Wirtschaft dem Leitspruch Zarathustras folgen und im Sinne eines In-Waste-Ment erfolgreich verschwenden: Sie geben, ohne daran zu denken, was sie zurückbekommen.

Johannes Ries